Gefährliches Techtelmechtel mit dem Hausierer

(Geschichte für das Mitteilungsblatt Gemeinde Kernenried November 2024)

 

Vehement und in kurzen Abständen erhellt bereits zum dritten Mal nacheinander der Türklopfer die Stille des frühen Nachmittags. Durch den dicken Nebel von der Seite des alten Bauernhauses ist nun ein entferntes und keuchendes Rufen zu vernehmen. Die scheinbar genervte Frauenstimme versichert gleich bei der Türe zu sein und fleht um Gottes Willen um etwas Geduld. Langsam entwickelt sich in der feuchten Luftmasse eine Gestalt. Zuerst beinahe als schwebender Geist, welcher sich dann jedoch mit zackigen Schritten zu einer Frau im mittleren Alter verwandelt. Der Hausierer Maximilian ist froh um diese Entwicklung, war ihm doch die Erscheinung anfangs sehr ungeheuer. Die Bäuerin lässt den Wanderhändler jedoch vorerst stehen und marschiert ohne Worte schnurstracks zum Brunnen, wo sie sich erst von der Erde an ihren Händen befreit und anschliessend ihr Tuch vom Kopf streift. Mit den zu einer Kachel zusammengeschobenen Händen schwemmt sie nun drei bis vier Schwalle Wasser in ihr offensichtlich verschwitztes Gesicht und trocknet dieses sogleich mit dem Kopftuch wieder ab.

 

Obwohl die Frau an der Ausstattung des Gastes genau erkennt, um was es geht, fragt sie schier rhetorisch was der Besuch zur Zeit von arbeitenden Leuten denn auf sich habe. Vorerst vom forschen und straffen Auftreten der Frau etwas eingeschüchtert, begrüsst der Handelsmann die Bäuerin mit überfreundlichen und schmeichelnden Worten. Diese will sich anfangs mit knappen und unfreundlichen Bemerkungen dieser Masche entziehen, kann dann schlussendlich den hartnäckigen Nettigkeiten des Hausierers nicht widerstehen. Zu jedem angepriesenen Produkt erzählt er mit exzellenter Verkaufsmanier eine packende Geschichte. Seine Ware, welche er mit einem Gestell am Rücken mit sich trägt, umfasst unter anderem Bürsten, Besen, Seifen, Dekorationen für den Weihnachtsbaum, exotische Nüsse und viele Gewürze sowie ein aus der Ferne stammendes Wunderheilmittel. Neben einigem Weihnachtsschmuck und Haushaltsutensilien, lässt sich die Bäuerin auch zum Erwerb des Wunderheilmittels überzeugen. Nach getaner Arbeit und überaus zufrieden, macht sich  Maximilian durch den dicken Nebel marschierend wieder vom Acker. Ähnlich ergeht es dem wandernden Händler an diesem Nachmittag, wie bereits seit drei Tagen, noch bei einigen anderen Häusern im Dorf.

 

Am Abend sitzt Maximilian gerne und lange im Wirtshaus, gönnt sich etwas Kleines zu Essen und jeweils einen halben Roten. Dabei unterlässt er es nicht, sich in hitzige Diskussionen mit anderen Gästen und im Besonderen am Stammtisch einzulassen. Gerne provoziert er im einen oder anderen Thema, das er jeweils schnell und geschickt auffasst, und spielt mit Witz und Schlagfertigkeit die Gesprächspartner listig gegeneinander aus. Bei allem worauf er sich einlässt, hat er stets auch eine Verkaufsstrategie, welche ihm nicht selten voll aufgeht. Es vergeht kein Abend, an welchem er im Wirtshaus nicht etwas an die Frau oder den Mann bringt. Von seinem Charme völlig hin- und weggerissen ist die Serviertochter Susi, welche allenthalben beinahe in Trance verfällt, wenn Maximilian mit ihr spricht. Dies zum grossen Missfallen des Dorfschmieds, welcher fast jeden Abend im Wirtshaus verbringt und sich längstens jedoch vergeblich Hoffnungen bei der Serviertochter macht. Nach der Polizeistunde schleicht sich der Händler denn auch heimlich durch die Hintertüre des Wirtshauses und verschwindet seit Tagen in der Stube von Susi. Maximilian verlässt diese jeweils erst am frühen Morgen wieder, kurz bevor die Wirtin das Gasthaus wieder öffnet.

 

Nach einem weiteren erfolgreichen Verkaufstag nimmt der Hausierer gerade wieder am Stammtisch Platz. Wie praktisch jeden Abend ist der dicke und stetige Nebel Gesprächsthema, welches am heutigen Tage abrupt unterbrochen wird, weil zwei Polizisten eintreten und Maximilian in die Mangel nehmen. Verschiedene Diebstahlmeldungen aus dem Dorf und der näheren Umgebung seien auf dem Posten seit einigen Tagen eingegangen. Gestohlen würden vorwiegend die vom Wanderhändler verkauften Artikel. Nach einer halbstündigen Befragung mit Wirtschaftspublikum meinen die Polizisten, dass sie Maximilian derzeit nichts beweisen können. Es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn überführen würden. Nachdem die Gesetzeshüter das Lokal wieder verlassen, herrscht im Wirtshaus beinahe Totenstille. Nach einiger Zeit versucht Maximilian mit Witzen und Sprüchen das Schweigen zu brechen und versichert, dass er mit den Anschuldigungen nichts zu tun habe. Aus den Gesichtern und dem Schweigen der Stammtischgäste ist deutlich zu lesen, dass diese ihm misstrauen. Der eine oder andere ruft Susi zum Zahlen und verlässt die Gaststätte wie von der Bestie gejagt. Die verbleibenden starren auf ihre Gläser und vermeiden jeglichen Augenkontakt, um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden. Schliesslich kapituliert Maximilian mit Kommunikationsversuchen und ruft ebenfalls zum Bezahlen. Beim Verlassen des Wirtshauses geht er noch kurz zu Susi an das Buffet, welche ihm verdeckt den Zimmerschlüssel in die Hand drückt.

 

Der Nebel drückt am Morgen die dicke und nasse Luft bis in den Schopf des Wirtshauses und erlaubt auch drinnen nur ein beschränktes Sehen. Genau aus diesem Holzanbau unterbricht ein Lärmen und Tosen die bisherige Ruhe des frühen Morgens. Es geht nicht lange, stürmen der Wirt gefolgt von der Wirtin in den Schopf und finden dort unter Holzkisten und Geräten den Hausierer begraben vor, welcher sich gerade von den herabgestürzten Gegenständen zu befreien versucht. Dieser ist mangels Sicht über die aufgestapelten Kisten gestolpert, welche dann umfielen und mit einer Kettenreaktion allerlei gelagertes Material zum Einsturz brachten. Im hinteren Teil des Schopfs entdeckt dann das Wirtepaar auch einige Duzend der Flaschen mit dem Wunderheilmittel. Als der Wirt den Händler an der Gurgel packt, gesteht er ohne grosse Ausschweife seine Tat. Der Wirt füllt jeweils Reste von Weinflaschen in ein altes Holzfass, welche er dann zur Herstellung von eigenem Essig verwendet. Der Hausierer hat diese Weinreste heimlich in seine eigenen Flaschen abgefüllt, mit einem Zweitel mit Wasser aufgefüllt sowie Kurkuma und geriebene Änissamen dazugegeben. Diese Mixtur hat er dann als Wundermittel und für gutes Geld unter die Leute gebracht. Unter Bewachung des Wirtes wartet Maximilian, unter Stress und mit einer grossen Beule am Kopf, mittlerweile in der Gaststube auf die Polizei. Auch Susi ist nun zu der morgentlichen Versammlung gestossen und verpflegt, trotz und unter Protest des Wirtes, die Blessuren des Hausierers.

 

Die beiden Polizisten verpassen dem Hausierer sofort Handschellen und beschuldigen ihn erneut des Diebstahls der von ihm verkauften Waren und neu auch des Stehlens von Wein aus dem Schopf. Beim Durchsuchen des Holzanbaus finden die Polizisten schliesslich, zu Lasten von Maximilian, in einer grossen Holzkiste eine Vielzahl von Waren. Diese entsprechen eins zu eins deren, welche durch die Kundschaft des Hausierers als gestohlen gemeldet wurden. Für die Polizei und die anwesenden inklusive Susi verdichtet sich damit die Beweislage. Als dann Susi mit grosser Enttäuschung darüber aufklärt, dass Maximilian seit Tagen im Wirtshaus ein und ausgeht sowie hier im Hause quasi logiert, ist für alle der Fall gelöst.

 

Gerade als die Gesetzeshüter den Beschuldigten abführen wollen, ist erneut ein lauter Lärm aus dem Schopf zu vernehmen. Sofort vermuten die Polizisten einen Komplizen, welcher die Ware aus dem Lager schaffen will. Maximilian sperren sie kurzerhand in den gewölbten Weinkeller und begeben sich auf leisen Sohlen zum Holzanbau. Vorsichtig und gespannt treten sie langsam in den Schopf ein. Mit Erstaunen machen sie eine überraschende Feststellung und trauen ihren Augen kaum. Die beiden Polizisten beobachten, wie der Dorfschmied eine beachtliche Menge an Ware in der Holzkiste mit dem Diebesgut verstaut. Die Gegenstände entsprechen grossmehrheitlich ebenfalls dem Sortiment des Hausierers. Sofort vermuten die Ermittler, dass der Dorfschmied und der Hausierer als Partner zusammenarbeiten und verhaften kurzerhand auch den neuen Verdächtigen.

 

Es kommt jedoch nicht wie vermutet. Nach kurzer Befragung, erneut in der Gaststube, gesteht der kräftige und stämmige Mann seine Tat. Aus Eifersucht und weil der Schmied herausgefunden hat, dass der Hausierer bei Susi nächtigt, hat er sich auf die Diebestour gemacht. Dies mit der Absicht bei Gelegenheit Maximilian zu beschuldigen. Wie beinahe geschehen, wäre dann die Ware im Schopf gefunden worden und alle Indizien hätten gegen Maximilian gesprochen.

 

Nur durch Zufall hat sich alles zum Rechten geklärt und Maximilian kann des Diebstahls der Waren wieder entlastet werden. Mit Erleichterung verlässt er den dunklen Gewölbekeller wieder und nimmt zur Kenntnis, was geschehen ist. Auf eine Anzeige für den Diebstahl des Weins verzichtet der Wirt. Der Hausierer muss ihm jedoch als Gegenleistung die Wundermittel überlassen, welche der Wirt als erfrischendes Getränk im Wirtshaus verkaufen will.

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