Ein ungewöhnlicher Kaminbrand

(Geschichte für das Editorial im Mitteilungsblatt der Gemeinde Kernenried, Mai 2021)

 

In gemütlichem Schritt und mit langen Zügeln tragen vier Pferde ihre im Gespräch vertieften Reiter über die kaum befahrene Strasse durch das Dorf. Verschwitzt, von der geleisteten Nachmittagsarbeit schäumend und zunehmend entspannt trotten die Pferde ihrer Boxenruhe entgegen. Bereits frischer Hafer und duftendes Heu im Sinn, entleert sich ein Pferd um das andere. Eine lange Spur aus Pferdemist zieht sich somit über die Strasse durch das Dorf hindurch.

 

Gemütlich sitzt Peter in der warmen Stube und geniesst, nach erledigter Stallarbeit, den wohlverdienten Feierabend. Neben dem warmen Offen im mächtigen Sessel, lauscht er leicht dösend und uninteressiert den verzehrten Worten des Radiosprechers. Dieser klingt aus der edlen Holzbox, welche mitten auf dem alten und verzierten Buffet neben diversen Familienfotos steht. Aus der Küche ist ab und zu das Klappern von Geschirr und anderen Küchenutensilien zu hören. Verursacht durch die übrigen Familienmitglieder. Ein lautes und schrilles Glockenläuten reisst Peter jäh aus seiner Schlafphase und in der Folge aus seinem weichen Sessel.

 

Lautes Fräsen und ohrenbetäubendes Gehämmer ist trotz frühem Abend noch immer aus der Schlosserei von Urs zu vernehmen. Der teilweise rhythmische Lärm ist um alle Hausecken bis tief in die Wälder und über die Felder hinweg zu vernehmen. So bemerkt Urs nicht, wie ihm seine Tochter schon von weitem mit verzerrtem Gesicht zuruft und mit langen Schritten auf ihn zu rennt. Erst als sie ihm mit der flachen Hand grob auf die Schulter klatscht erkennt er sofort die Dringlichkeit und lässt das Werksgetöse verstummen. Dafür ist jetzt ein beinahe so lautes Läuten von eisernen Glocken durch die ganze Werkstatt zu hören.

 

Im Gasthof sitzen am selben Tisch der Oberlehrer, der Gemeindeschreiber, der Mühlebauer sowie der Wirt bei einem gemütlichen und konzentrierten Feierabendjass. Der Gemeindeschreiber hat gerade mit einer Schaufelsechs und der Bemerkung «Slalom» angesagt und etwas verzögert, mit hämischem Grinsen die Ergänzung «und Fünfzig» angefügt. Der Oberlehrer meint zähneknirschend zum Mühlebauer, «Das lassen wir denen nicht durch, wir halten…». Er legt zwar sein Schaufelbauer noch auf die bereits auf der Jassunterlage liegende Sechs, wird jedoch in seinen Worten durch das quälende Läuten der Telefonglocken des Gasthofs unsanft unterbrochen.

 

So werden heute Abend viele im Dorf aus ihrem gewohnten Tagesablauf gerissen. Mittlerweile ist auch das Heulen der Sirene, welche scheinbar bedrohlich zuoberst auf dem Schulhausdach thront, weit über das Gemeindegebiet hinaus zu hören. Etwas über dreissig Männer werden an diesem unscheinbaren Abend an ihren Telefonapparat gerufen. Alle vernehmen dieselbe sich immer wieder wiederholende Ansage: «Achtung, dies ist keine Übung. Fortgeschrittener Kaminbrand. Alle Gruppen einrücken.»

 

Im Feuerwehrmagazin ziehen sich die einen hektisch noch die Feuerwehrausrüstung an und die anderen bereits eingekleideten Männer hängen die Anhänger mit Material und Spritze an die dröhnenden Traktoren. Die Offiziere erteilen bereits laut durcheinanderrufend Einsatzbefehle. Ein anderer schreibt mit Kreide und grossen Buchstaben auf eine Schiefertafel den Einsatzort, damit verspätet eintreffende Feuerwehrmänner zum richtigen Ort nachrücken können. Die ersten Traktoren, mit Mannschaft und Material beladen, fahren laut brummend ab. Bald ist der letzte Traktor abfahrbereit und Hans springt noch kurz vor Abfahrt mit offener Hose und Jacke auf den Anhänger, wo er erst während der Fahrt sein Tenue erstellt.

 

Am Rande des besiedelten Dorfkerns angekommen, ist ein kleines Einfamilienhaus dicht in weissen Rauch eingehüllt. Dieser tritt in grosser Menge aus dem Kamin und scheint sich wie eine Qualle um ihre Beute um das Haus zu schlingen. Beim nahe gelegenen Feuerwehrweiher wird eine Pumpe installiert und Schläuche werden bis zum und um das Haus herum verlegt. Die Strasse wird abgesperrt. Leitern werden in Stellung gebracht und die ersten Feuerwehrmänner mit Atemschutzgeräten betreten das eingeräucherte Haus. Das Kommando «Wasser bereit» ist gerade über mehrere Personen bis zum Kommandanten gelangt, als ein Teil der Atemschutzgruppe wieder aus dem Haus kommt. Lachend machen diese dem Kommandanten Meldung. Das Lachen verbreitet sich rasch durch die gesamte Feuerwehrmannschaft. Bald wird klar, es handelt sich hier nicht um einen eigentlichen Brand. Der Hausbesitzer hat am späten Nachmittag den Pferdemist von der Strasse geräumt und diesen in der Feuerung entsorgt. Der Mist hat zwar nicht richtig gebrannt, hat jedoch einen riesigen Qualm verursacht. Dieser hat sich aus dem Kamin, um das Gebäude und im Haus so stark ausgebreitet, dass die Nachbarn die Feuerwehr alarmiert haben.

 

Aus dem gemütlichen Abend im Sessel, den dringenden Arbeiten in der Werkstatt und dem ehrgeizigen Jass ist an diesem Abend nichts mehr geworden, weil diese Männer und viele andere mit ihnen bis in die Nacht hinein mit Retablieren beschäftigt waren. Immerhin kam es dann zu später Stunde im Gasthof, wie es sich gehört, noch zu einem gemütlichen Schlummertrunk. Dabei wurde ungehalten über den Mistverbrenner aber auch die Pferdehalter gelästert. Obwohl ersterer eine grosszügige Runde und eine Fleischplatte spendierte.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0